Roter Teppich für werdenden Autokraten

27.11.2025

AI-generated Foto eines roten Teppichs mit seitlicher Kordelabsperrung
AI-generated Foto eines roten Teppichs mit seitlicher Kordelabsperrung

Am 2. Dezember tritt der albanische Ministerpräsident Edi Rama in Wien beim von der ERSTE Stiftung veranstalteten Time to Decide Europe Summit auf. Gerade auf einer Konferenz, die sich das ehrgeizige Ziel gesetzt hat, globale Gefahren wie etwa das Erstarken nationalistischer und autoritärer Kräfte zu debattieren, wird Rama es etwas zu gemütlich haben. Flankiert von Persönlichkeiten wie der ehemaligen niederländischen Vizeministerpräsidentin und Finanzministerin Sigrid Kaag und LSE Professorin Lea Ypi wird der Semi-Autokrat Rama eine Debatte über die „Herausforderungen kleiner Staaten“ leiten. Dass man gerade ihn die Frage diskutieren lässt, wie kleine Staaten sich angesichts des sterbenden Multilateralismus demokratische Resilienz erhalten können und in einer Welt, in der zunehmend der Stärkere regiert, dennoch bestehen können, ist paradox. Rama selbst reiht sich unter die Gefahren für die Demokratie seines kleinen Landes ein. 

In Wien wird er wohl als reformfreudiger, pro-europäischer und wortgewandter Staatsmann und Optimist auftreten. Freundlich lächelnd wird er Hände schütteln, behauptend, er sei doch gar kein Politiker, sondern viel mehr Künstler, Basketballspieler, ein ganz normaler Typ eben. Europäische Politikerinnen, darunter auch Österreichs Regierungsparteien, werden nicht müde, Albaniens Fortschritt im EU-Beitrittsprozess zu loben. Der Fortschrittsbericht der Europäischen Kommission preist Reformen bei Justiz und Governance. Europa liebt Ramas PR-Gag um die auf KI-basierende „Ministerin“, die er kürzlich der Welt vorstellte. 

Menschen verlassen Ramas Albanien

Doch hinter dieser polierten Oberfläche liegt ein ganz anderes Albanien verborgen — eines, mit dem Europa Rama anscheinend nicht konfrontieren will. In seiner Heimat ist Rama dafür bekannt, institutionelle Kontrollmechanismen konsequent ausgehöhlt, demokratische Rechenschaftspflichten untergraben zu haben. Er hat Patronagennetzwerke ausgebaut und grundlegende Säulen der Demokratie wie Meinungs- und Pressefreiheit, richterliche Unabhängigkeit und die Integrität freier Wahlen erodiert. Rama ist seit 2013 ununterbrochen albanischer Ministerpräsident. In dieser Zeit ist Albanien de facto zu einem Einparteienstaat zurückgekehrt und Hunderttausende Albanerinnen und Albaner, haben das Land verlassen. Fast ein Drittel der ehemaligen Bevölkerung, also 1.2 Millionen Albaner, lebt heute im Ausland. Ist das nicht seltsam für ein Land, das angeblich auf dem schnellsten Weg in die EU und zum guten Leben ist? Die Wahrheit ist, dass die Menschen einen Staat verlassen, dem sie nicht länger vertrauen. 

Gegen mehrere von Ramas Ministern und ehemaligen Kabinettsmitglieder wurde wegen Korruptionsvorwürfen ermittelt, einige wurden sogar verhaftet. Wieder andere stemmen sich mit all ihrer politischen Macht gegen eine drohende Anklage oder verfolgen ihre politische Karriere, trotz dieser Vorwürfe, völlig ungestört weiter. Kaum einer dieser Top-Beamten und Politiker wurde jemals rechtskräftig verurteilt. Im seltenen Fall, dass die Justiz doch einen von Ramas Verbündeten zu fassen bekommt, schreitet er ein. Das bewies er etwa Anfang des Jahres nach der Verhaftung des ehemaligen Bürgermeisters von Tirana, Erion Veliaj, wegen schwerer Korruptionsvorwürfe. Rama behinderte erst die Einleitung des Entlassungsverfahrens und später berichteten albanische Medien, Mitglieder von Ramas Partei hätten strategisch Antikorruptionsbehörden eingeschüchtert und gar körperlich angegriffen. Rama warf der Sonderstaatsanwaltschaft für Korruption und organisierte Kriminalität öffentlich vor, “StaSi-Methoden” anzuwenden und Veliajs Leben durch “professionelle Dummheit” zu zerstören, wie auch Adelheid Wölfl im Standard berichtete.

Wie aus Vučićs Playbook

Selektive Gerechtigkeit, laut in der Form, aber hohl im Resultat ist zum Markenzeichen von Ramas Albanien geworden. Sowohl auf dem höchsten als auch auf dem niedrigsten Level albanischer Politik und Administration herrschen Bestechung und Freunderlwirtschaft. Öffentliche Ausschreibungen werden innerhalb loyaler Netzwerke vergeben, kritische Journalisten sind mit Einschüchterung und Marginalisierung konfrontiert. Die Grenze zwischen Partei und Staat ist fast verschwunden. Korruption ist unter Rama nicht weniger, sondern raffinierter geworden, zentralisierter und sie steht heute unter stärkerem politischen Schutz. Gleichzeitig stellt der Kommunikationsapparat der Regierung sicher, dass Kritik schnell als Zynismus und Manipulation aus dem Ausland gebrandmarkt wird. Das und vieles andere hat Rama aus Aleksandar Vučićs Playbook gelernt. 

Die EU und Österreich riskieren, jene Fehler, die sie mit Serbien gemacht haben, in Albanien zu wiederholen: nämlich Stabilität mit Demokratie zu verwechseln und Rhetorik mit Reformen. Indem man Rama in Wien eine Bühne bietet, auf der er brillieren kann, statt sich rechtfertigen zu müssen, belohnt man sein Verhalten weiter. Wohin diese Strategie führt, sieht man heute in Serbien, wo die Herrschaft des ehemaligen EU-Lieblings Vučić dazu geführt hat, dass viele vor allem junge Menschen gegen die Regierung und für ihre Zukunft auf die Straße gehen und sich gleichzeitig von der EU im Stich gelassen fühlen. 

Nur echte Resultate sollten zählen

Unsere Botschaft an die österreichische Bundesregierung, insbesondere an Außenministerin Beate Meinl-Reisinger, aber auch an die von uns sonst sehr geschätzte ERSTE Stiftung ist: Rama braucht keinen weiteren Fototermin in Wien. Doch Albanien braucht Partner, die willens sind, unbequeme Wahrheiten auszusprechen und ein Europa, das nicht seinem eigenen Wunschdenken zum Opfer fällt. Fortschritt sollte nicht in geöffneten Verhandlungskapiteln gemessen werden. Was zählt, sind einzig echte Resultate: unabhängige und starke Institutionen, ein gerechter Wettbewerb um politische Ämter und angemessene Strafen für jene, die Verbrechen begangen haben. 

Wie schon Aristoteles seine Studenten lehrte, basiert Demokratie auf gleichen Regeln für alle. Bis sowohl politisch mächtige als auch eher machtlose Albaner diese Gleichheit vor dem Gesetz spüren können, wird Albaniens Demokratie bleiben, was sie heute ist: eine elegante Fassade, hinter der langsam aber kontinuierlich die Hoffnung auf ein besseres Leben stirbt. 


Titelbild: KI-generiert